Samstag, 2. Mai 2009

La vida loca - Das verrückte Leben

Zusammenfassung für die Lesefaulen:

Leyla und ich heiraten am 27. Mai in Singapur.
Große kirchliche Hochzeit dann im September in Chile.


Liebe Familie und Freunde,

macht Euch gefasst auf eine etwas längliche E-Mail... Bitte trotzdem bis zum Ende lesen - ist wichtig.

Vorletzte Woche Sonntag (19.4.) bin ich nach erfolgreicher Verteidigung meiner Doktorarbeit von Deutschland wieder zurück nach Singapur geflogen, wo ich und Leyla ja jetzt wohnen und arbeiten. Bei meiner Ankunft in Singapur war Leyla noch in Vietnam für einen Kurzurlaub. Sie wollte am gleichen Tag ein paar Stunden später zurück nach Singapur fliegen.

Zuhause angekommen war die Wohnung schön dekoriert und Leyla hatte mir einen Tisch mit kleinen Geschenken und Glückwunschkarten zur abgeschlossenen Promotion vorbereitet. War total süß. Ich habe meinerseits meine Mitbringsel aus Deutschland (Sachen aus unserer alten Wohnung in Frankfurt und lecker Fressalien aus Deutschland, z.B. Maultäschle *lecker*) auf einem Tisch aufgebaut, um Leyla zu überraschen und habe dann auf ihre Ankunft gewartet.

Um 1:30 Uhr in der Nacht von Sonntag zu Montag sollte ihr Flug ankommen. Um kurz nach zwei klingelt das Telefon. Leyla ruft an: "Sie wollen mich nicht ins Land lassen, pack ein paar Dokumente zusammen und kommt so schnell es geht zum Flughafen." Sie wollte kurz darauf nochmal anrufen. Ich habe also in aller Eile wichtige Dokumente zusammen gesucht, habe mich in Schale geworfen (Anzug & Co. - Kleider machen Leute... und ganz besonders in Asien). Aber der Rückruf kam nicht. Scheiße. Das sah nicht gut aus.

Also habe ich beim Flughafen angerufen und mir die Nummer des Zolls geben lassen. Dort war Leylas Name auch sofort bekannt und ich wurde zum Obermacker (diensthabender Offizier) weitergeleitet: "Hallo, ich rufe an, um das Problem mit Frau Leyla Vasquez zu lösen." Zynische Antwort: "Ja, wie wollen sie das denn machen?"... Ruhig bleiben, hab ich mir gesagt und habe mir das Problem schildern lassen. Mit dem Ergebnis, dass ihr die Einreise nach Singapur aus "Immigrationsgründen" verweigert wurde und dass alles weitere vertraulich sei und dass ich da erstmal gar nichts machen könne... Ich könnte aber bei der Einwanderungsbehörde einen Appeal, einen Einspruch einreichen und habe mir die Adresse der Behörde geben lassen.

Kurz darauf ruft Leyla nochmal an. Sie Polizisten hätten nicht mit sich reden lassen, ihr wurde die Einreise verweigert und sie wollten sie nach Vietnam deportieren. Nach Vietnam!! Für Vietnam hatte Leyla aber nicht einmal ein Visum! Es war wie in einem schlechten Film, in denen der westliche Tourist in irgendeinem asiatischen Gefängnis festgesetzt wird und dann dort verrottet. Katastrophale Vorstellung...

Ich habe die ganze restliche Nacht Dokumente zusammen gesucht, Übersetzungen angefertigt, Erklärungen geschrieben, und habe gelernt, einen Krawattenknoten zu binden. Nach einer knappen Stunde Schlaf hab ich mich am nächsten Morgen um halb acht ins Taxi gesetzt und mich zur Einwanderungsbehörde bringen lassen. Dort habe ich eine Nummer für ein persönliches Gespräch gezogen, den Fall geschildert und mir wurde ein Formular gegeben. Für ein Besuchervisum. Dazu braucht es aber einen lokalen Sponsor und das könne ich nicht machen, weil ich kein Singapurer wäre. Habe bei meiner Uni angerufen, aber die konnten mir auch nicht weiterhelfen. Habe noch einmal mit der Beamtin alles besprochen und am Ende des Gesprächs, ich war bereits aufgestanden und der Assistent hatte mir die Tür geöffnet, erwähnt die Beamtin beiläufig, dass das ganze Verfahren eh sechs bis acht Wochen dauert...! AHH! Da ist mir die Kinnlade runter geklappt. Absolut inakzeptabel. Nach meinem Protest wurde angeboten, man könne einen Stempel "dringend" auf den Antrag machen und dann würde es eventuell schneller gehen. Einen lokalen Sponsor hatte ich aber sowieso nicht...

Weil ich nicht genau wusste, was ich als nächsten machen sollte bin ich zur Uni zu meinem Chef gefahren. Der konnte mir auch nicht wirklich weiterhelfen, hat mir aber im Innenstadtcampus ein Besucherbüro gegeben, wo ich dann Computer und Telefon hatte.

Leyla war während dieser ganzen Zeit nicht erreichbar...

Als nächstes habe ich sofort die chilenische Botschaft in Singapur angerufen (Leyla ist Chilenin). Die Sekretärin hat sich den Fall schildern lassen und die Daten aufgenommen und versprochen gleich zurück zu rufen. Das hat sie auch gemacht und gesagt, dass sich die chilenische Konsulin um den Fall kümmern wird. Die Sekretärin hat Gott sei Dank sofort den Ernst der Lage erkannt und den Fall eskaliert.

Eine Stunde später klingelt das Telefon. Es war die chilenische Konsulin persönlich. Sie erzählt mir, dass ihr beim Zoll genau das gleiche erzählt wurde wie mir: "vertraulich" - und dass das schon aller Hand sei, dass man der Botschaft keine Auskunft geben möchte.

Ich wusste immer noch nichts von Leyla, ja nicht einmal, ob sie sich noch in Singapur aufhielt.

Dann gegen drei Uhr nachmittags rufe ich erneut bei der Botschaft an. Herr und Frau Konsul seien zum Flughafen gefahren, sind aber abgeblitzt und haben nichts erreicht. Nicht zu fassen! Sie würden aber alle Hebel in Bewegung setzen, um Leyla da raus zu holen.

Gegen 17:00 Uhr ruft die Konsulin wieder an. Sie hat mit Leyla sprechen dürfen. Es geht ihr gut! Erleichterung. Und sie ist noch in Singapur.

Die Botschaft hatte die Taktik geändert und das Auswärtige Amt von Singapur eingeschaltet. Über die politische Schiene konnte wohl mehr Druck ausgeübt werden.

Um 18:00 Uhr werde ich von Frau Konsul, Daniela, wir duzen und mittlerweile, informiert, dass man ihr versprochen hätte, Leyla jetzt doch einreisen zu lassen.

Um 19:00 Uhr ruft Leyla an, sie wurde tatsächlich freigelassen und die Einreise nach Singapur erlaubt. Um 19:30 schließe ich sie am Flughafen in meine Arme...

Es war allein Leylas Sturheit zu verdanken, dass sie nicht noch in der selben Nacht abgeschoben wurde. Durch ihr energisches Nein sollte sie erst am nächsten Tag nach Vietnam deportiert werden, wodurch sie wertvolle Zeit gewonnen hatte. Auf dem Weg zu ihrer Arrestzelle hat sie ein Telefon im Flur entdeckt. Da Leyla vorher am singapurer Flughafen gearbeitet hatte, wusste sie, dass Telefonate im Transitbereich kostenlos sind und hatte mich kurz angerufen, obwohl ihr dass verboten wurde. Im Arrestzimmer waren ein Duzend anderer Frauen, alle am heulen. Da Leyla wusste, dass sie jetzt stark sein muss, war sie die einzige Frau, die nicht in Tränen aufgelöst war. Sie hat immer wieder vehement gefordert, die Botschaft kontaktieren zu dürfen. Das wurde verweigert. Ihr wurden alle Habseligkeiten (inklusive des Handys) abgenommen und sie wurde aufgefordert, sich ruhig zu verhalten und die Klappe zu halten. Die Forderung, die Botschaft anrufen zu dürfen wurde mit dem Aktenvermerk quittiert, dass sie aggressives Verhalten zeige... Auf die Frage an den arroganten Polizisten, warum er dies tute kam nur die Antwort: "Weil ich es kann, und weil ich es machen werde!"... Willkürlicher Machtmissbrauch. Von 3:00 Uhr nachts bis um 17:00 Uhr am nächsten Tag war Leyla komplett von der Außenwelt abgeschnitten. Horror!!! Ohne zu wissen, was mit ihr geschehen würde und ohne zu wissen, ob von außen jemand versuchte, sie da raus zu holen.

Ihr wurde jetzt die Einreise für 30 Tage erlaubt.

Zwei Tage später (Mittwoch) haben wir die chilenische Botschaft besucht. Haben Blumen und eine Schachtel Merci zum Dank vorbei gebracht. Wir wurden total lieb aufgenommen und von der Botschafterin höchst persönlich und von Herr und Frau Konsul zum Tee eingeladen. Sowas sei noch nie passiert. Die Botschaft sei immer davon ausgegangen, dass sie in solchen Fällen informiert werden würde. Dass Leyla das Recht verweigert wurde, die Botschaft zu kontaktieren war ein Bruch der Wiener Konvention zu diplomatischen Beziehungen. Selbst der Botschaft wurde nie erzählt, warum Leyla nicht nach Singapur gelassen wurde. Wir werden es wohl nie erfahren.

Mittlerweile ist der erste Schock überstanden und wir regeln gerade alles, um Leylas Arbeitsvisum für den neuen Job zu beantragen.







Ab hier beginnt der schöne Teil dieser E-Mail :-)

Vor dem Hintergrund dieser einschneidenden Erfahrung, aber ganz sicher nicht nur deshalb haben wir entschlossen: Wir werden heiraten!!


Wir werden also heiraten. Sicher bringt uns das ein gutes Stück soziale Sicherheit im fernen Asien. Aber es hat wohl auch nur der rechte Auslöser gefehlt, um endlich diesen Schritt zu wagen. Und noch größer kann der Wink mit dem Zaunpfahl vom Schicksal nun wirklich nicht sein...

Wir sind total glücklich und freuen uns auf die Hochzeit. Unseren Eltern haben wir noch vorletzte Woche Bescheid gesagt. Letzten Samstag habe ich offiziell bei Leylas Papa um ihre Hand angehalten. Chile ist ja schließlich ein katholisches Land, wo der Familienzusammenhalt sehr groß ist (vergleichbar mit Italien). Dort sind alle aus dem Häuschen und haben sofort angefangen, die Hochzeit zu organisieren... Ich bin dann Samstag nachmittag noch schnell los gezogen und habe einen Verlobungsring besorgt. Und am Samstag abend habe ich Leyla in einem italienischen Restaurant schließlich gefragt, ob sie mich heiraten möchte. Sie hat natürlich ja gesagt und alle Gäste im Restaurant haben applaudiert und die italienischen Besitzer haben uns eine Flasche Sekt zur Feier des Tages spendiert :-)
Es war ein perfekter Abend.

Die Reihenfolge der Ereignisse ist zwar etwas durcheinander, aber egal, es war alles mit dabei.

Wir werden hier in Singapur am 27. Mai standesamtlich heiraten. Die kirchliche Hochzeit mit großem Fest ist für den 12. September bei Leylas Familie in Chile geplant.

Tja, la vida loca - das verrückte Leben. Da kommt man vom Regen in die Traufe. Ein echtes Wechselbad der Gefühle. Aber wir sind happy. Die Inhaftierung vom singapurer Zoll werden wir zwar so bald nicht vergessen, aber jetzt freuen wir uns erst einmal von ganzem Herzen über die Verlobung und die bevorstehende Hochzeit.

Uff - lange E-Mail... Dann macht's mal gut.

Liebe Grüße,

Andreas

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